Die alte Frau mit der Stradivari auf dem Estrich gibt es nicht mehr

Tages Anzeiger, October 1, 2014

By Susanne Kübler

Jason Price und seine New Yorker Firma Tarisio versteigern online historische Geigen. Vorher präsentiert man die Instrumente in Ausstellungen – am Donnerstag erstmals auch in Zürich.

Tages Angezeiger

Tages Angezeigter – October 1, 2015

Eine wertvolle, hoch versicherte Fracht landet heute im Flughafen Zürich: zehn Violinen von Stradivari, Landolfi, Ga­gliano, Pressenda und anderen. Morgen werden sie im Zunfthaus zur Saffran zu sehen sein. Auch ausprobieren kann man sie dort, und später im Oktober werden sie online versteigert: So funktioniert der Violinhandel der Firma Tarisio, dem wohl weltweit grössten Player im Handel mit historischen Violinen.

Gegründet wurde Tarisio vor 15 Jahren von einem Trio junger, geschäftstüchtiger Instrumenten-Aficionados. Einer der drei war Jason Price, inzwischen 38 Jahre alt und alleiniger Leiter des in New York und London angesiedelten Unternehmens. Er hat einst Cello gespielt, liess sich später als Instrumentenbauer ausbilden – und merkte dann, dass ihn das Geschäft mit historischen Instrumenten mehr reizte als alles andere. Es ist, gerade in der Schweiz, ein gutes Geschäft. Deshalb findet hier nun erstmals eine jener Tarisio-Ausstellungen statt, für die man bisher weit reisen musste.

Jason Price, wer wird an die Zürcher Ausstellung kommen? Musiker oder Sammler?
Beides. Bei den Musikern kommen zum Beispiel Junge, die ihren ersten Job in einem Orchester haben und die Violine ihrer Träume suchen. Oder solche, die mitten in ihrer Karriere stehen und etwas ändern möchten.

Und unter den Sammlern jene, die ein weiteres Instrument in ihren Safe einschliessen möchten?
Das ist schlecht, wenn das passiert. Aber es kommt zum Glück nicht oft vor. Heute leihen die meisten Sammler ihre Instrumente aus, an Solisten oder an Orchester. Denn die Instrumente gehen kaputt, wenn sie nicht gespielt werden.

Im Violin-Museum im italienischen Cremona gibt es deshalb den Signor Mosconi, der die Instrumente täglich spielt.
Ein toller Job! Ich habe einst in Cremona Geigenbau studiert, aber nur zwei Wochen lang. Nachher lernte ich in einer Werkstatt in Parma, in einem der letzten wirklichen Familienbetriebe.

Ist denn Cremona – wo Stradivari, Guarneri del Gesù und viele weitere bedeutende Geigenbauer wirkten – heute noch eine wichtige Adresse?
Eine heikle Frage . . . Es gibt nach wie vor gute Geigenbauer in Cremona. Aber eben auch in Paris oder in Japan. Die lokalen Schulen sind verloren gegangen. Es spielt keine Rolle mehr, woher jemand kommt, wo er gelernt hat. Jemand in Kalifornien kann ohne weiteres ein Instrument in der italienischen Tradition herstellen. Und in Cremona haben sich Geigenbauer aus aller Welt angesiedelt.

Auch Tarisio funktioniert global, Ihre Auktionen finden online statt. Wie beurteilt man online ein Instrument?
99 Prozent der Leute, die bieten, haben die Instrumente vorher in der Hand gehabt – deshalb machen wir ja die Ausstellungen. Viele kommen auch zu uns nach London oder New York. Manche bringen ihre Lehrer mit, gelegentlich reisen ganze Streichquartette an. Die probieren dann die Instrumente aus, oft stundenlang. Am Ende wissen sie, was sie wollen, und versuchen es bei der Auktion zu bekommen.

Nicht immer, das weiss auch Jason Price, hat man allerdings das nötige Kleingeld dafür. 2011 machte Ta­risio Schlagzeilen mit dem Rekordverkauf der Stradivari-Geige «Lady Blunt»: 15 821 258 Dollar. Auch Bogen können teuer werden, vor einem Jahr wurde einer für gut 73 000 Dollar ersteigert. Rund 1000 Instrumente und 1000 Bögen verkauft Tarisio pro Jahr, darunter durchaus auch günstigere. Aber Geld und Prestige: Das holt man mit den grossen Namen.

Das galt schon zu Zeiten des Namensgebers der Firma Tarisio: Der italienische Sammler Luigi Tarisio (ca. 1790–1854) war der erste Violinhändler im modernen Sinn, und er hatte ein enorm scharfes Auge für gute Instrumente. Seine Sammlung war wohl die beste, die je einer zusammengebracht hat. Manchmal scheint er dabei auch getrickst zu haben: Etwa wenn er Stradivari-Geigenzettel in den Korpus eines weniger wertvollen Instruments klebte. Oder wenn er ahnungslosen Besitzern einer bedeutenden, aber reparaturbedürftigen Geige ein schön aufpoliertes Billigexemplar zum Tausch anbot. Dabei ging es ihm allerdings nicht nur ums Geschäft, er liebte die Instrumente wirklich: Als er starb, besass er noch 24 Stradivari und 120 Instrumente anderer illustrer Geigenbauer, die er nicht verkaufen mochte.

Luigi Tarisio reiste durch halb Europa auf der Suche nach Instrumenten. Machen Sie das auch?
Natürlich, wir reisen weltweit. Es gibt überall private Besitzer, die uns ihre Instrumente zum Verkauf anbieten. Viele Angebote lehnen wir ab, weil der Preis zu hoch ist, der Zustand schlecht, die Zuordnung falsch. Von vier Instrumenten übernehmen wir vielleicht eines.

Wer sind denn die Leute, die eine wertvolle Geige zum Verkauf anbieten können?
Es sind zum Beispiel Musiker, die ihre Karriere beenden. Die meisten wissen, was sie haben, aber es gibt schon auch Entdeckungen: Da haben vielleicht in den Sechzigern Eltern für ihren Sohn eine Garimberti gekauft, die damals als nichts Besonderes galt. Heute sind diese Instrumente sehr gefragt. Aber die alte Frau, die eine Stradivari auf dem Estrich hat, die gibt es nicht mehr. Ich weiss nicht einmal, ob es sie früher gab. Sie ist wohl eher ein Mythos.

Der Geigenbau war immer schon von Mythen geprägt. Da wurde zum Beispiel gemunkelt von einem geheimnisvollen Lack, den Stradivari verwendet haben soll.
Wir mögen solche magischen Geschichten, gerade wenn es um Musik geht. Aber Geigenbau ist eher Handwerk als Kunst, da gab es auch früher keine Zaubertränke – nur gute Arbeit und gutes Material. Heute beurteilt man die Instrumente objektiver, es zählen die Fakten. Wenn man ein Instrument kauft, weiss man, wann es gebaut wurde, wann und wie es repariert wurde.

Aber wenn Stradivari drinsteht, vervielfacht das den Preis?
Nur wenn er es tatsächlich gemacht hat! Der Name spielt schon eine Rolle: Klang ist eine subjektive Sache, ein Instrument kann dem einen gefallen und dem anderen nicht. Wenn man weiss, dass eine jahrhundertelange Geschichte etwas als gut beurteilt hat, beeinflusst das die Wahrnehmung.

Wie gross ist denn die Gefahr, dass man eine Stradivari kauft, die gar keine ist?
Klein. Die Welt ist so vernetzt, in der Geigenszene kennen sich alle, da sind die Informationen zugänglich. Es gibt wissenschaftliche Methoden, um die Zeit der Herstellung, die Herkunft des Holzes, die Art der Reparaturen zu analy­sieren. Viele falsche Zuordnungen geschahen früher aus einem Mangel an Kenntnissen, auch aus einer gewissen Leichtigkeit: Die Violine sieht aus wie eine Stradivari, also ist es eine. Heute argumentiert man umgekehrt: Wenn ein Instrument eine Stradivari sein könnte, aber es ist nicht sicher – dann verkauft man es nicht unter diesem Namen.

2011 wurde der auch in Zürich tätige Geigenhändler Dietmar Machold verhaftet wegen schweren gewerbsmässigen Betrugs.
Ein schlimmer Fall. Ich kannte Dietmar Machold nicht persönlich, kann also nicht viel dazu sagen. Soviel ich weiss, betrog er vor allem auf der finanziellen Ebene, nicht auf der Ebene der Expertise. Das war natürlich schlecht für die Branche. Aber es hat auch positive Verände­rungen bewirkt: Die Händler wie die Käufer sind heutzutage vorsichtiger. Die Gewinner im heutigen Violinbusiness sind jene, die wirklich transparent informieren.

Tarisio-Ausstellung: Zunfthaus zur Saffran, Limmatquai 54, Zürich; 2. Oktober, 9 bis 17 Uhr. (Tages-Anzeiger)

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